Themenstrang: »Emanzipation«
Referent_innen: Catalina Körner, Ariane Brenssell, Grete Erckmann, Anne Roth, Annette Guba
Tag/Zeit: Freitag, 19.9.2014, 13:30–15:30 Uhr
Das Werkstattgespräch versammelt drei Beiträge, die dafür plädieren über das psychiatrisch/biomedizinische Traumakonzept der „Posttraumatischen Belastungsstörung“ hinauszugehen und die eine Erweiterung der Perspektiven auf Gewalt und Trauma vorschlagen. In dem Workshop werden drei eingereichte Veranstaltungsideen zusammengeführt. Wir verstehen sie als Bausteine für die Diskussion um ein erweitertes, emanzipatorisches Traumaverstehen.
Trauma und NS-Geschichte: „Kollektives Trauma“ von NS-(Mit-)Täter*innen?: Kritik am universalistischen Traumakonzept im Zusammenhang mit dem deutschen Kriegsopferdiskurs.
Hier soll versucht werden ‚Trauma‘ als Ausdrucksform von menschlichem Leiden durch Gewaltereignisse historisch nachzuzeichnen, um die Verschränkung dieser Kategorie mit dominanten gesellschaftlichen Diskursen und Machtverhältnissen konkret aufzuzeigen. Dabei möchten wir versuchen, uns dem Dilemma zu nähern, das sich aus der Aufnahme der PTBS in die Reihe der psychischen Störungen ergibt: Einerseits eröffnet sie die praktische Möglichkeit einer offiziellen Anerkennung als Opfer von Gewalttaten (z.B. durch Übernahme von Kassenleistungen oder dem juristischen Anspruch auf Entschädigungszahlungen), andererseits funktioniert sie – im Einklang mit allen anderen Diagnosen – nur über eine individuelle Pathologisierung der Subjekte und abstrahiert von den konkreten Täter*innen. Die Degradierung von Gewaltbedingungen zu einem „auslösenden Traumaereignis“ ermöglicht zudem die Individualisierung und Ahistorisierung von gesellschaftlichen Gewalt- sowie Machtpositionen. Dies wird z.B. an der Debatte um „deutsche Kriegstraumatisierung“ deutlich, die in den letzten 15 Jahren zunehmend an Popularität in der Psychologie gewinnt. Durch die scheinbare Universalität des Traumakonzepts werden hierbei individuell leidvolle Kriegserfahrungen in gefährliche Nähe zu den grauenvollen Erlebnissen von im NS Verfolgten gerückt und somit potenziell gleichgesetzt bzw. nivelliert.
Trauma und Versöhnung nach dem Krieg: Versöhnungsprozesse junger Männer in Liberia im Kontext politischer Transformation
In diesem Beitrag geht es um die Vorstellungen über Versöhnung im heutigen Liberia, einem afrikanischen Land, das sich den Folgen eines fürchterlichen Bürgerkrieges stellen muss, während es gleichzeitig mit enormen ökonomischen Schwierigkeiten umgeht. Trauma und Versöhnung sind in der dritten traumatischen Sequenz, der Transformationsphase (Keilson, 1979) bedeutende Phänomene. Anhand der Untersuchung von Lebensgeschichten junger Männern, die während der Kriege aufwuchsen, möchte ich auf zentrale Probleme von verbreiteten Versöhnungsmodellen hinweisen sowie am geltenden Traumaverständnis Kritik üben. Die vorliegende empirische Studie erfasst anhaltende Gewaltstrukturen und hebt die Prozesshaftigkeit von Trauma hervor, wodurch veranschaulicht wird inwiefern das weit verbreitete Konzept der Posttraumatischen Belastungsstörung (PTSD) Traumatisierung nicht ausreichend beschreiben kann. Das zu Grunde liegende sozialpolitische Traumaverständnis (Becker, 2006) fordert neben den individuellen Geschichten auch den politischen und sozialen Kontext mit einzubeziehen, um die Komplexität der Erfahrungswelten verstehbar zu machen. Somit wird deutlich, dass Trauma und Versöhnung nicht nur Prozesse sind, die die Vergangenheit und die Gegenwart miteinander verbinden, sondern durch die auch gesamtgesellschaftliche Realitäten mit höchst individuellen Erfahrungen untrennbar verwoben sind.
Trauma und sexualisierte Gewalt: Sexualisierte Gewalt individuelle und gesellschaftliche, persönliche und politische zugleich.
Möglichkeiten, Gewalt zu verarbeiten werden in der Traumafachdebatte zunehmend auf Fragen der Neurobiologie und der individuellen Fähigkeiten und Bewältigungsmöglichkeiten (Resilienz , Vulnerabilität) reduziert. Am Beispiel von Trauma durch sexualisierte Gewalt möchte ich diskutieren, wo die Grenzen der vorherrschenden Traumakonzepte liegen und wie ein emanzipatorisches Traumaverstehen aussehen kann, das darüber hinausgeht. Zudem möchte ich die Frage aufwerfen, wie eine durch die Kritische Psychologie inspirierte emanzipatorische und partizipative Forschung zu „Trauma“ bzw. zu Möglichkeiten der Gewaltbearbeitung aussehen können.
Leitfragen für die gemeinsame Diskussion können sein: Welche emanzipatorischen Ansätze von Traumaarbeit gibt es? Welche Kämpfe gibt es aktuell um Traumaarbeit und Traumaverstehen? Wie kann eine emanzipatorische Praxis der Gewaltverarbeitung aussehen? Wie kann ein Umdenken über Trauma in der Praxis erfolgen? Welche Bedingungen in der Praxis verhindern dies? Welche Kämpfe braucht es?